Palmsonntag: geweihte Palmstöcke aus Buchsbaum, Weiden oder Wacholder sollten vor Unheil schützen
Mitteilung vom 28.03.2007
Westfalen (lwl). Der Palmsonntag ist im kirchlichen Leben von sehr gegensätzlichen Gefühlen geprägt: Einerseits wird zu Beginn der Karwoche in den Gottesdiensten die Passion (Leiden und Sterben Jesu) gelesen, andererseits erinnert die Kirche am Sonntag vor Ostern an den feierlichen Einzug Jesu in Jerusalem, bei dem ihm die Menschen Palmenzweige schwenkend einen königlichen Empfang bereiteten. Daran erinnern noch heute zahlreiche Bräuche in ganz Westfalen.
Dabei stehen stets die so genannten Palmstöcke im Mittelpunkt: „Da Palmen in unseren Breiten nicht beheimatet sind, bildeten die Menschen früher die biblischen Palmzweige mit Material aus ihrer Umgebung nach. Aus Buchsbaum, Weidenkätzen oder Wacholder fertigten sie Palmstöcke oder Palmstecken, die von Region zu Region sehr verschieden aussahen“, erklärt Sonja Temlitz von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).
Eng miteinander verbunden sind die Prozession und die Palmweihe, die schon für das Frühmittelalter belegt sind. In der katholischen Kirche versammeln sich am Palmsonntag die Gläubigen vor der Kirche, um mitgebrachte „Palmen“ vom Priester segnen zu lassen. Anschließend zieht die Gemeinde zum Hochamt ins Gotteshaus ein. Besonders feierlich sind diese Prozessionen in den Bischofsstädten gestaltet. In Münster etwa geht es in einem großen Zug von der Petrikirche zum St. Paulus-Dom, wobei die Domgeistlichen heute Zweige von echten Palmen tragen.
Die größte Formenvielfalt der Palmstöcke bot das Münsterland, wo diese mit Buchsbaum, Bändern und Naschwerk verziert wurden. In Gronau-Epe (Kreis Borken) bestanden die Palmen aus mehrfach gegabelten Stöcken mit Preiselbeerbüscheln an den Spitzen und behängt mit bunten Papierstreifen, Süßigkeiten und Obst. Nach den Erinnerungen eines Berichterstatters des Volkskundearchivs wurden in Münster-Altenberge „Nüsse eingekerbt und dann auf die Buchsblättchen geklemmt. Je mehr Nüsse den Palmstock zierten, um so schöner war er. Die Nüsse verursachten natürlich durch das Aneinanderstoßen beim Schütteln ein ganz beträchtliches Geklirre“. Vielerorts wurde der Bast der Stöcke auch mit Ziehmessern oder Glasscherben in Längsrichtung geschabt, so dass er sich kräuselte und Wülste („Krüllen“) bildete.
Für die Gebiete an der niederländischen Grenze waren besonders geformte Brote typisch, so etwa in Vreden (Kreis Borken) das Palmrad und in der Stadt Bocholt (Kreis Borken) der Palmvogel. Im Westmünsterland hat sich der Palmbrauch zu einer Art Kinderfest entwickelt. „Bis heute ziehen Kinder in den Nachbarschaften von Haus zu Haus, singen ein Lied und bekommen Süßigkeiten, die sie an die Palmstöcke hängen“, berichtet Temlitz.
In anderen Regionen Westfalens wurden aus Weidenzweigen „Palmbünde“ oder „Palmpacken“ gebunden, in denen oft noch Äpfel steckten, die die Familie nach dem Hochamt gemeinsam verzehrte. „Am Abend vor Palmsonntag war es Aufgabe des Vaters, das Palmbund zusammenzustellen. Er nahm einen besonders langen Weidenzweig, befreite ihn von den Kätzchen und glättete ihn mit dem Messer. Auf diesen glatten Zweig schob er dann eine Reihe Äpfel, sechs bis acht manchmal sogar zehn Stück, möglichst dick und leuchtend rot, die eigens zu diesem Zweck im Winter zurückgelegt worden waren. Der Zweig mit den Äpfeln wurde ringsum mit Weidenzweigen umgeben und mit einem hellen Band zusammengehalten“, schreibt ein Berichterstatter des Volkskundearchivs aus Alfen im Kreis Paderborn.
Am Palmsonntag trugen die noch nicht schulpflichtigen Kinder die Palmstöcke zur Palmweihe. Kinderlose Familien bekamen im Austausch für eine kleine Gabe von Nachbarskindern einen Teil des gesegneten Palmstockes geschenkt. Denn den geweihten Palmen wurden unheilabwehrende Kräfte zugesprochen. „Deshalb bewahrte man sie zuhause sichtbar auf, vor allem neben Kruzifixen und Christus- oder Marienbildern, aber auch in den Ställen und anderen Wirtschaftsräumen. Waren Menschen oder Tiere erkrankt, bekamen sie kleine Mengen des getrockneten Palmen zu essen, und bei Gewittern wurden Teile desselben verbrannt“, berichtet Temlitz.
Im Paderborner Land und im kurkölnischen Sauerland war es üblich, am Ostermorgen die kleingeschnittenen Palmzweige in Kreuzform auf die Ecken der Felder zu legen und ein Gebet darüber zu sprechen, um Wetterschaden abzuwehren. Während der Bauer etwa im Hönnetal (Märkischer Kreis) ein Vaterunser betete, sagte er in Olpe: „Ich pälme dich am heiligen Ostertag, Gott bewahre dich vor Blitz, Donner und Hagelschlag…“.
Die Tradition der Palmstöcke oder -bünde hat sich bis heute gehalten. Viele Kinder basteln rund eine Woche vor Palmsonntag in Kindergärten, Grundschulen und Kommuniongruppen Palmstöcke. „Auch in der evangelischen Kirche sind Weidenkätzchen als Palmzweige verbreitet, nur dass sie hier nicht geweiht sondern als Tischschmuck in Vasen gestellt werden. Zudem war der Palmsonntag traditionell der Tag der Konfirmation, während sie heute oft an einem Sonntag zwischen Ostern und Pfingsten gefeiert wird“, sagt LWL-Volkskundlerin Sonja Temlitz aus.
Mit Buchsbaum, Süßigkeiten, einem Apfel und Gebäck in Vogelform ist der Palmstock dieses Jungen aus Anholt (Kreis Borken) im Jahre 1957 prächtig geschmückt.
Foto: LWL-Archiv/Schlechtriem
Dieser Junge aus Werl (Kreis Soest) hält am Palmsonntag 1969 einen mit Äpfeln gefüllten Palmbund aus Weidenruten in den Händen, wie er für das Paderborner Land und das Sauerland typisch ist.
Foto: LWL-Archiv/Halekotte